Evangelische Johannes-Kirchengemeinde Lüdenscheid
Gottesdienste und Andachten
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Bleiben Sie behütet und gesund!
Adolf von Harnack – Ein Mann seiner Zeit

Die zahlreichen Andachten auf unserer Homepage nutze ich ja auch schon mal gerne, um Personen der (Kirchen-)geschichte zu bedenken. Heute – anlässlich seines 90sten Todestages am 10. Juni 1930: Adolf von Harnack.
Der Kirchengeschichtler Wolf-Dieter Hauschild schrieb über ihn: „Harnack war […] der letzte deutsche Theologe, der eine gesamtgesellschaftlich relevante, praktisch wirksame Wissenschaftlichkeit in einer öffentlichen Spitzenposition repräsentierte.“
Er wurde 1851 in Dorpat (heutiges Estland) geboren und wirkte in einer bewegten Zeit der deutschen Geschichte seit den 1870er Jahren bis in die 1920er Jahre hinein als Theologieprofessor, preußischer Wissenschaftsorganisator, Förderer der Frauenbewegung und Initiator unter anderem der Vorgängerorganisationen der heutigen Max-Planck-Gesellschaft und der heutigen Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG).
In der Kaiserzeit sowie auch zur Zeit der Weimarer Republik und im aufkeimenden Nationalsozialismus waren beide Kirchen auch in sich uneins, in welchem Verhältnis Kirche und Staat zueinander stehen sollten. Harnack gilt als Vertreter des sogenannten Kulturprotestantismus. Kirche müsse „auf der Höhe der Zeit“ sein. Ein gutes Miteinander von (evangelischer) Kirche und (wilhelminischem) Staat wurde als zeitgemäß angesehen. Ich selbst fühle mich an Universitätsvorlesungen zum Kulturprotestantismus immer dann erinnert, wenn anlässlich von Fußball-Weltmeisterschaften in Kirchengemeinden Public-Viewing-Veranstaltungen stattfinden - mitsamt gehisster Deutschlandfähnchen. Es gibt dafür viele gute Gründe, die uns nachvollziehen lassen, weshalb es auch damals führenden Kirchenvertretern wichtig war, „mit der Zeit“ zu gehen. Dieser „liberalen (=freien) Theologie“ wird bis heute der Vorwurf gemacht, zu beliebig zu sein und das Kirchen„fähnchen immer nach dem Wind“ zu drehen.
Adolf von Harnack war im Kaiserreich politisch gut vernetzt und ein großes Verdienst seiner Tätigkeit ist sein fächerübergreifendes Arbeiten. Seiner Theologengeneration ist es zu verdanken, dass wir heute nicht bloß allein unsere „evangelische Brille“ aufhaben, wenn wir Bibeltexte lesen, sondern „historisch-kritisch“, also gemeinsam mit Historikern, Judaisten, Philologen uvm., auf die Texte schauen. Nach historischen Fakten und dem wissenschaftlich Korrekten zu fragen und unterschiedliche Sichtweisen und Antworten gelten zu lassen, war Harnacks Anliegen. Ohne diesen Ansatz wäre Theologie heute an staatlichen Universitäten nicht mehr anschlussfähig.
Dass dieser Blick in seiner Zeit dabei Stilblüten trieb, die den Antisemitismus in Deutschland zusätzlich befeuerten - bis hin zur Forderung einer Streichung des Alten Testaments aus dem Kanon der christlichen Bibel - war absolut nicht in seinem Sinne. Harnack wehrte sich zeitlebens gegen seine Vereinnahmung durch Antisemiten, die seine freiheitliche Weltsicht „auf der Höhe der Zeit“ in ihrem Sinne auslegten. Und so bleibt Adolf von Harnack - trotz aller Verdienste um Theologie und Wissenschaft - in der heutigen Betrachtung vor allem eins: Kind seiner Zeit.
Einer Zeit, an die ich immer wieder denke, wenn in unserer Zeit (berechtigterweise) darauf hingewiesen wird „Kirche muss doch mit der Zeit gehen.“ oder „Das machen doch alle so.“

Liebe Grüße
Ihr Michael Siol