Evangelische Johannes-Kirchengemeinde Lüdenscheid
Gottesdienste und Andachten
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Bleiben Sie behütet und gesund!
Der Nachtflug

HERR, du gabst unseren Vätern deinen guten Geist, sie zu unterweisen. Neh 9,20

Die heutige Tageslosung lädt zum Blick in die Geschichte ein. Im ursprünglichen Kontext war dies die Geschichte Israels. Eine bewegte Geschichte, geprägt vom Auszug aus der Sklaverei in Ägypten, der Wüstenwanderung und den Kriegen gegen andere Völker. Eine Geschichte, in der sich Menschen manchmal gut und manchmal schlecht verhalten haben. Eine Geschichte, aus der sich viel zu lernen lohnt. Deshalb wurde sie aufgeschrieben. Mitten im Bericht hält der Erzähler inne und resümiert mit den Worten der Tageslosung: „Herr, du gabst unseren Vätern deinen guten Geist, sie zu unterweisen.“ Damit lädt er auch uns ein, innezuhalten und unserseits in die Geschichte zu schauen und nach Lernchancen für heute zu fragen:

Vor 80 Jahren - am 18. Mai 1940 - wurde im florentinischen Teatro della Pergola die Oper „Volo di notte“ (deutscher Titel: „Der Nachtflug“) von Luigi Dallapiccola uraufgeführt. Die Handlung entstammt dem Roman „Vol de nuit“ des französischen Schriftstellers und Piloten Antoine de Saint-Exupéry. In ihrer Handlung wird ein junger Pilot bei Gewitter auf einen gefährlichen Nachtflug geschickt. Dem Direktor der Fluggesellschaft ist die Einhaltung des Flugplans - mit dem damit verbundenen Profit - wichtiger als der Schutz eines Menschenlebens. Der Pilot kehrt von dem Flug nicht zurück.
Ebenfalls vor 80 Jahren, dem Tag der Uraufführung dieser Oper, besetzt die deutsche Wehrmacht das belgische Antwerpen, nachdem sie tags zuvor in Brüssel einmarschiert war. Der Westfeldzug war in vollem Gange und hatte bereits zehntausende Menschenleben gefordert.
Für mich wirkt es so unpassend, dass an solch einem Tag Menschen in Florenz ins Theater gehen und die Uraufführung einer Oper genießen, während zeitgleich anderenorts Europa vom Krieg verwüstet wird. Dabei stellt die Handlung der Oper „Vollo di notte“ die Frage, ob es rechtens ist, dass ein Menschenleben riskiert wird - für den Fortschritt, die Wirtschaft und das Einhalten eines Plans.
Damit ist das Thema der Oper gar nicht weit weg von den Geschehnissen 1000 Kilometer weiter nördlich im belgischen Antwerpen – und auch nicht weit weg von den Überlegungen 80 Jahre später, wo Menschen im heutigen Europa fast dieselbe Frage stellen: Darf ein Menschenleben riskiert werden für den Fortschritt, die Wirtschaft und das Einhalten eines Plans?

Wir sind der Einladung des Propheten und damit dem Blick in die Geschichte gefolgt. Manche Fragestellungen haben sich nicht verändert. Auch, dass mächtige Menschen sich manchmal gut und manchmal schlecht verhalten, hat sich nicht geändert. Ob Sie das nun eher beruhigend oder eher frustrierend finden, weiß ich nicht. Und genauso zweideutig klingt für mich das Zwischenresümee des Propheten: Einerseits dankbar für Gottes guten Geist, der das Volk in allen Zeiten begleitet hat und weiter begleiten wird und andererseits frustriert, dass trotz dieses guten Geistes immer wieder so viel Mist verzapft wird.
Es ist die Woche des Sonntags Rogate (lat. = Betet!). Beten ist die Verbindung zwischen Erde und Himmel. Beten heißt, selbst Gott nahe zu sein und andere Gott nahe zu bringen; zum Beispiel, in dem wir für die beten, die es in der Hand haben, weise Entscheidungen zu treffen: „Guter Gott, hilf uns starten, hilf uns landen und bitte bewahre uns vor einem übermotivierten Nachtflug.“

Happy Landings!
Ihr Michael Siol